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„Den Ötztaler müssen Sie einmal fahren“ erklärt mir der Gipser (sub 9h) im Spital Korneuburg kurz bevor ich kollabiere. Das war im Mai 2021, nachdem ich mir bei einem MTB-Sturz meinen linken Unterarm gebrochen hatte. Kurz danach beginne ich zu recherchieren, 4 Alpenpässe, 5500 HM, knapp 230km, Wahnsinn, nix für mich denke ich mir. Doch die Motivation für einen Radmarathon steigt, und so melde ich mich einmal für den Kitzbüheler Radmarathon (4600HM, 214km) im Juli 22 an. Parallel registriere ich mich für den Ötztaler, bei ca. 20.000 Interessenten werden 4000 Starter zugelassen. Im ersten Jahr wird das sicher nichts“, versichere ich Silvia. 3 Tage vor meinem Geburtstag bekomme ich dann die Bestätigungsmail, ich wurde gezogen.

Es soll so sein, denke ich mir, und beginne mit strukturiertem Training. Mein Ergo wechselt mit den Ausfahrten im Freien, und bis zum Ötztaler sollte ich knapp 7000 km und einige Höhenmeter in den Beinen haben. Die Vorbereitungsrennen (Waschberg, Leithaberg und Kitzbüheler Radmarathon) verlaufen bis auf einen Kettenriss am Horn recht gut, und so reisen Silvia und ich am Freitag vor dem Rennen mit Bahn/Bus nach Sölden an. Ein ganzer Ort ist hier im Ausnahmezustand, ich verbringe nur einen kurzen Moment im Veranstaltungszelt, die restliche Zeit nützen wir für kleine Wanderungen bzw. Ausflüge.

Am Sonntag dann um 4:15 Tagwache, um 4:30 erhalten wir (ca. 10 Starter aus dem Hotel) ein reichhaltiges Frühstück. In der Früh hat es knapp 10° aber es ist trocken, pünktlich um 6:30 erfolgt der Startschuss. Zuerst geht es 30km talauswärts nach Ötz, nur nicht stürzen lautet meine Devise. Doch hier wird trotz tlw. nasser Straße ohne Rücksicht gefahren, einige Stürze, und in Ötz angekommen bin ich trotz 43 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit am Ende des Feldes.

Vor dem ersten Anstieg aufs Kühtai ziehe ich meine Jacke aus, diese werde ich erst wieder am Timmelsjoch benötigen. Die ersten 500HM geht es nur darum, auch bergauf mit niemandem zu kollidieren und nicht umzufallen. Im Feld wird noch sehr viel geredet, doch das würde sich noch ändern. Erst ab der Hälfte des Anstieges in Ochsenhausen zieht sich das Feld etwas in die Länge, und ich kann mein eigenes Tempo fahren und einige Radler überholen. Am Kühtai herrscht eine super Stimmung, die Labestelle lasse ich aus da ich selbst genug mithabe.

Bei der Abfahrt nach Innsbruck gibt es auf Grund einer Baustelle eine Umleitung in Sellrain, 200 zusätzliche HM, danach geht es runter ins Tal und weiter in Richtung Brenner. Ich kenne die Strecke, weiß dass der Anstieg am Beginn etwas steiler und dann wieder flacher wird. Wir sind eine Gruppe mit knapp 50 Radlern, ich bleibe dran und fahre den zähen, langen Anstieg in Richtung Brenner im Windschatten. Der Grenzübergang will nicht näherkommen, und hier kommen das einzige Mal an diesem Selbstzweifel auf. Doch nach knapp 5h komme ich endlich oben an, ich bleibe stehen und versorge mich mit Gels, Riegel und Iso. Die Versorgung ist bestens. Bei der Abfahrt müssen wir 2km mit max. 25km/h auf einen Radweg ausweichen, danach fährt man weiter nach Sterzing. Hier ist die nächste Umleitung, ein kurzer Anstieg mit knapp 20%. Danach geht es rauf auf den Jaufenpass – „Hier beginnt der Ötzi erst so richtig“, wurde in der Fahrerbesprechung verlautbart. Ich genieße die Auffahrt, endlich kann ich mein eigenes Tempo fahren und Fahrer um Fahrer überholen. Mittlerweile ist Stille eingekehrt, und immer wieder müssen Fahrer absteigen.

„Jetzt schon“, denke ich mir und leide mit ihnen. 200 Höhenmeter vor dem Ziel befindet sich der Gipfel, doch leider ist die Labestelle (auf Grund von Platzproblemen) ca. 100 HM unterhalb positioniert. Ich bleibe kurz stehen, beim Bergauf-Wegfahren spüre dich heute das erste Mal so richtig meine Oberschenkel. Doch es passt, oben angekommen werden wir noch einmal angefeuert und dann geht es in die Abfahrt nach St. Leonhard.
Nach ca. 7h15min komme ich dort an und höre im Lautsprecher, dass der Sieger soeben die Ziellinie überquert hat „Wahnsinn“, denke ich mir. Von 750m Seehöhe jetzt noch einmal rauf auf knapp 2500m, 25km, 9x Hadersfeld, kein Problem... Zuerst geht es ewig lang mäßig steil gerade aus, nach 500 HM beginnen die Kehren. „Ausgeträumt?“ steht auf einem Transparent, „Sicher nicht!“ denke ich mir. Mein Tritt ist noch rund, und bis zur Labestelle bei Schönau auf 1750m Seehöhe kann ich wieder einige Fahrer vor mir überholen. Kurz noch gestärkt, und dann geht es in den final climb. Wind und Regen kommen auf, ich schaue immer nur bis zur nächsten Kehre, und der Tunnel vor dem Gipfel kommt immer näher. Dort angekommen genieße ich kurz das trockene Wetter im Tunnel und weiß, dass es nun nur noch 100 nicht mehr ganz so steile Höhenmeter bis zum Gipfel sind. Wir Fahrer klatschen untereinander ab und gratulieren uns, leider sind auf Grund der Witterung keine Zuseher mehr vor Ort. Ich ziehe meine Jacke an und begebe mich in die Abfahrt.

Danach folgt noch ein kurzer Anstieg mit 150 HM nach Hochgurgl, aber dieser stellt kein Problem mehr dar. Die finale Abfahrt nach Sölden ist ein einziger Genuss, ich muss nur noch darauf achten auf der regennassen Fahrbahn nicht zu stürzen. Vor der Ortstafel in Sölden bleibe ich noch einmal stehen, ziehe meine Jacke aus und genieße den Moment. Die Zieleinfahrt ist ein einziger Genuss, Silvia wartet auf mich, ich muss die eine oder andere Träne verdrücken. Ich hatte einen Traum – I am an Ötzi!

Zeit: 10:35.50,9