Ironman World Championship 2022
Als ich mit 55 Jahren mit dem Triathlon begonnen habe, dachte ich nicht im entferntesten daran einmal in Hawaii finishen zu können. Ein Ereignis, welches viele Triathleten auf ihrer Wunschliste haben. Und obwohl ich vor der Qualifikation beim IMItaly 2019 eher skeptisch eingestellt war, konnte ich der Versuchung eines Starts in Kona, um welchen sich so viele Mythen ranken, nicht widerstehen.
Und es war ein sehr eindrucksvolles Erlebnis. Zwar anders als ich es mir vorgestellt und erwünscht habe, aber eindrucksvoll.
Schwimmen
Ich beginne wie immer im moderaten Tempo, aber anders als bei meinen bisherigen Wettkämpfen komme ich aufgrund des unruhigen Pazifiks nicht in den gewünschten und rhythmischen 3-er Zug, da ich achten muss, nicht zuviel Salzwasser zu schlucken. Schon weit vor der Wende überholen mich die guten Schwimmer der nachfolgenden Startwelle, die im Körperkontakt nicht zimperlich beim Überholen sind. Trotzdem ist das Schwimmen die einfachste und kürzeste Übung dieses Bewerbes, ich bin aber doch überrascht, dass meine Uhr beim Ausstieg beinahe 90 Minuten zeigt.
Das Wechselzelt ist prall mit Athleten gefüllt, keine Sitzbank ist frei und leicht wankend bereite ich mich für den Radsplit vor. Beim Rad Check In hatte ich bemerkt, dass viele Athleten Handtücher in ihrem Radsack haben, um sich vor dem Eincremen trocken reiben zu können. Daran hatte ich nicht gedacht und so versprühte ich die Sonnencreme auf die nasse Haut. Vermutlich einer der Fehler eines langen Tages.
Rad
Ich meine, die Schlüsselstelle des Radkurses zu kennen. 20km vor und nach dem Wendepunkt in Hawi sorgen die kreuz und quer fegenden Passatwinde für schwieriges Fahrverhalten. Bei der Trainingsfahrt vor ein paar Tagen konnte ich kaum die Aeroposition halten. Heute fühlt es sich aber gar nicht so anstrengend an und nach zwei Drittel der Radstrecke bin ich überzeugt, den schwierigsten Teil geschafft zu haben.
Aber der Wind wird zunehmend stärker und meine rechte Zehe schmerzt, also schlüpfe ich aus dem Schuh und stelle die Fußsohle auf den Radschuh. Angenehm für die Zehe, aber ich ahne noch nicht, wie negativ es sich auf das Laufen auswirken wird. Langsam und für mich unbewusst verfestigt sich ein asymmetrisches Pedalieren und eine stärkere Last auf die rechte Hüfte.
In der Wechselzone bemerke ich die schon gerötete Haut im Schulterbereich. Sechs Stunden in der prallen Sonne haben ihre Spuren hinterlassen und erst jetzt wird mir bewusst, dass beinahe ausschließlich Trianzüge mit Ärmeln getragen werden. Ich bin einer von den wenigen im ärmellosen Trikot. Im Laufsack habe ich Sonnencreme, die ich nun großzügig über meinem Körper versprühe. Jetzt im Nachhinein denke ich, dass es zu spät war.
Laufen
Trotz allem starte ich mit einem 5er Schnitt. Meine Frau wird mir nachher erzählen, dass ich beim Laufstart schon einen sehr erschöpften Eindruck hinterließ.
Nach ca. 5km und ein paar hundert Meter nach unserem Hotel, dem Royal Kona Resort, befindet sich die erste Verpflegungsstation. Ich will eigentlich nur etwas trinken, aber plötzlich bemerke ich ein schwindeliges Gefühl. Es gibt unter den Sportlern einen geflügelten Satz, der nachträglich betrachtet gut zu meinem Zustand passte “DA HAT ES MIR DEN STECKER GEZOGEN!” Ich nehme bzw. will noch nicht wahrhaben, wie ausgelaugt ich bin. Erste Klarheit verschaffen mir die Fragen der Helfer, die mir einen Stuhl anbieten: “Wie heißt du?” “Wann bist du geboren?” “Wie geht es dir?”
Sie telefonieren mit einem Arzt, der aber anscheinend auch anderes zu tun hat. Jetzt bin ich bei mir angekommen. Die Füße brennen und ich habe ein starkes Schwindelgefühl. Plötzlich stecke ich in einem kaputten und leeren Körper. Das gutgemeinte Gatorade kann ich nicht lange im Körper halten. Das Hotel ist nicht weit und meine Frau wird sich sicherlich schon Sorgen machen. Ein “Did not Finish” ist keine Schande, schwirrt in meinem Kopf herum.
Als ich aufstehe, um ein paar Schritte zu gehen, eilt mir sofort die Helferin hinterher, ihre Chefin telefoniert noch immer um einen Arzt. Ich solle warten, sie wollen, dass ich “save” sei und ein Arzt mich untersucht.
Ein Gedanke jagt den anderen. Jetzt bist du so weit gereist und hast dich so lange auf dieses Event vorbereitet. Meine Frau wartet und zuhause starren meine Kinder sicherlich schon besorgt auf den Liveticker, der schon 40 Minuten stillsteht. Es wird mir bewusst, dass das DNF lange und bitter nachwirken wird. Und meine Enkelin liebt meine Medaillen, dieses hiesige Prunkstück wird sie besonders gerne haben. Ich erkundige mich nach der Cutoff Zeit im Energy Lab. Geht sich auch mit Gehen aus, denke ich mir, so viel Rechenkunst kann ich noch aufbieten. Die Helfer halten aber noch nichts davon und wollen, dass ich auf den Arzt warte. Ich beginne aber ein paar Meter auf und ab zu gehen, um wieder Gefühl in die Beine zu kommen. Nach einigem Hin und Her und meinem Versprechen, vernünftig zu sein, lassen sie mich weiter ziehen.
Ein langer Weg beginnt. Meine Frau atmet auf, als sie mich wieder auf der Strecke sieht. Chris, der mit seinem Freund Erich aus meinem Heimatbezirk Jennersdorf ebenfalls die Quali geschafft hat, begleitet mich ein Stück und redet mir gut zu. Und Hannes von Hawaii Tours gibt mir Tipps, um meinen verzogenen Hüftbeuger zu dehnen, ehe es aus Kona raus in die Einöde geht.
Es ist dunkel geworden. Die Empfehlung bei der Rennbesprechung Reflektoren mitzunehmen, da es bei Wolkenverhang sehr dunkel sein kann, sofern man länger unterwegs ist, habe ich mit “Werde ICH doch nicht brauchen” weggewischt.
Und es ist einsam. Anfeuerungen und Zuschauer gibt es fast nur an den Verpflegungsstellen. Ab und zu überholt mich ein Läufer, großteils herrscht aber Gehen vor. Ich versuche, in einen Traben/Gehen Rhythmus zu kommen. Manchmal taucht ein Athlet, der schon am Rückweg ist, mit einer Stirnlampe auf und leuchtet kurz den Boden aus. Ansonsten ist aufgrund der Dunkelheit der Boden nicht zu sehen und ich hoffe, nicht durch eine Unebenheit ins Stolpern zu geraten. Am Wendepunkt, dem gefürchteten Energy-Lab gibt es Stimmung und Musik, meine Startnummer wird aufgerufen, damit Helfer mein vor dem Start abgegebenes persönliches Verpflegungssackerl bereitlegen können. Ich verzichte darauf, es ist mir zu mühsam und labe mich an der allgemeinen Verpflegungsstelle.
Ich stütze bei jedem Schritt den linken Oberschenkel mit der Hand, um dem verzogenen Hüftbeuger entgegenzuwirken. Wie asymmetrisch mein Gang geworden ist, werde ich erst am nächsten Tag realisieren, als ich ein Video von meinem Finish zu Gesicht bekomme. Es fällt mir noch immer schwer, es anzusehen.
Aber irgendwann hat das Leiden ein Ende. Klaudia ist mir ein Stück entgegen gegangen und begleitet mich am Streckenrand mit dem von meiner Tochter mitgeschickten Banner. Nochmals versuche ich, in ein leichtes Traben zu kommen, es ist nicht möglich. Die Finishline taucht auf, die Rampe hinauf und ich bin im Ziel.
Von Ferne höre ich meinen Namen und “You are an Ironman!” Sofort stützen mich zwei Helfer, eine dritte Person fragt, wie es mir geht. In diesem Moment verspüre ich nicht einmal Freude, mein Körper und Geist sind leer gesaugt.
Nachbetrachtung
Es war eine große emotionale und körperliche Herausforderung, die ohne das große Verständnis meiner Familie nicht möglich gewesen wäre. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ich habe ein paar Tage gebraucht, um das Rennen zu verdauen. Die Enttäuschung, dass es nicht wunschgemäß gelaufen ist, wechselte mit Stolz gefinisht zu haben. Aber jetzt habe ich meinen Frieden geschlossen.
Corinna von Twitter hat mir vorher alles Gute für das “Rennen meines Lebens gewünscht.” Das war es nicht, das wird die Qualifikation beim Ironman Italy 2019 bleiben. Aber ich habe das dreijährige Projekt Hawaii erfolgreich beendet. Begleitet von vielen schönen Trainingsstunden, vor allem mit @Peterslaufblog, aber manchmal auch gespickt mit Zweifel, ob ich es aufgrund der Pandemie gesund an den Start schaffe.
Es gibt einige Dinge, die ich nun anders machen würde. Ich war zu selbstbewusst und sorglos und eine gute Vorbereitung garantiert nicht einen erfolgreichen Wettkampf. Und wenn ich auch meine Trainings im Sommer bewusst in der größten Hitze durchgeführt habe, waren die kurze Akklimatisationszeit und die hohe Luftfeuchtigkeit eine Belastung, der mein Körper nicht gewachsen war. Diese Erinnerung wird bleiben, aber auch viele Bilder an eine traumhafte Insel mit einer freundlichen und zuvorkommenden Bevölkerung, deren Geduld gegenüber uns hektischen Europäer bewundernswert ist.
Meine Familie und Freunde fragen mich schon um meine Pläne für das nächste Jahr. Keine Ahnung, es schwirrt noch zu vieles im Kopf herum, welches ich ordnen muss
Und ich habe noch Lust auf Triathlon, aber noch keine Ahnung wo?, wann? und welche Distanz?.
Ergebnis:
Franz Wolkowitsch Stnr. 1542 Gesamt 1953 AK-65 47. Rang
Verein: WHC X-Sport Vösendorf
Meine Splits:
Swim : 01:29:17
T1: 07:07
Bike: 6:03:01
T2: 7:02
Run: 6:47:16
Gesamt: 14:33:42
Homepage des Veranstalters: Ironman