Es darf auch leicht sein – Mein Marathon

 

Ein beeindruckender Bericht von Daniele vom VCM 2011 und besonders für Alle, die es auch einmal wagen wollen :

17.4.2011 – Am start ist’s schön kalt, erst ganz am schluss ziehe ich das viele gewand aus. Und dann sehr unspektakulär der start, weil ich im block 5 ganz hinten bin, langsam setzt sich die menge in bewegung, der startschuss war ja schon viel, viel früher. Ein letzter blick zurück und dann ist da auch schon das startband, und los geht’s. Uhr gedrückt, und plötzlich überrascht mich eine rührung, die mir die tränen in die augen drückt. Hier bin ich, und ich tu’s jetzt wirklich.

Drei Monate liegen hinter mir, in denen ich voll auf mich allein gestellt war, mich immer wieder selber motiviert habe und die volle verantwortung für das laufen übernommen hab, und das fast ohne vorwissen, aber dafür umso mehr wille und gefühl. Auch ein paar unsichere momente waren dabei, aber jetzt bin ich da und es ist wunderbar. die leute rund um mich quatschen, die sonne lacht, aber es ist noch angenehm kalt. Wieder diesen start machen zu dürfen über die reichsbrücke in der menge ist einfach großartig.

Schon nach dem einbiegen in den prater wird das feld länger, ich lasse mich wie immer leicht überholen. Viele männer wieder in den büschen links und rechts, was soll’s. Nach drei km ziehe ich schon mein langärmeliges leiberl aus und lass es am rand liegen, ich hoff es kann noch jemand brauchen.

Mir geht’s richtig gut, natürlich gibt’s wasser schon am km 5, wo ich auch ganz brav trinke, von jetzt ab jedes mal.

Die erste hälfte geht sehr ruhig über die bühne, ich laufe von beginn an ganz locker und gleichmäßig meine 7:04. gut schaut’s aus.

die höhepunkte der ersten hälfte kommen von außen: genau als ich bei einem lautsprecher mit radioübertragung bin, kommt die enthusiastische meldung, dass es haile gebrselassie bereits ins ziel geschafft hat, nach einem unglaublichen rennen. Was für eine motivation! Da kann es auch nicht stören, dass der unwissende radiomoderator, der uns vorbeitraben sieht, sagt, „hier kommen die, die’s langsamer angehen, die das erstemal dabei sind. lassts euch nicht demotivieren davon, dass der haile schon im ziel ist!“ sorry, aber der mann hat keine ahnung, was gibt’s schöneres, als wenn es jemandem gut geht, so gut wie geplant?!?

der zweite höhepunkt ist, dass die schnellsten marathonläufer (späterer sieger und speedmaker) an mir vorbeilaufen, bevor ich nach links abbiege. wie toll, die burschen live und so nah zu sehen, super! Wie gut, so langsam zu sein 😉

Der dritte höhepunkt ist der moment, als ich nicht rechts in die bahn der halbmarathonläufer richtung ziel einlaufe, sondern mit stolz und erhobenen hauptes links bleibe und in die ziemlich leere straße vor mir einbiege. Zum glück gibt’s die staffelläufer, die Cs neben mir, sonst wäre ich jetzt schon ziemlich allein unterwegs.

Und da, nach dem parlament, steht mein liebe schwester, und gibt mir wasser, kappe, gel, den ipod und mut. Danke dafür! Später sagt sie mir, dass ich total locker ausgeschaut hätte, wie wenn ich gerade begonnen hätte zu joggen, und nicht wie nach 21 km.

Zweite hälfte, jetzt wird’s spannender, weil ich die strecke nicht kenne. Ich weiß aber, dass es bis zum wienfluss ziemlich schnell gehen wird, und das stimmt auch, da läuft man ein bisschen in seitenstraßen, und biegt dann richtung osten entlang des flusses ab. Ich hab gedacht, wir würden direkt unten am fluss rennen, nein leider oben, was nicht so schön ist.

Am ende kommen mir – rund um km 28 – die schnelleren läufer entgegen, eine „horde“ von leuten, die jetzt rund um km 38 sind, noch mehr oder weniger gut ausschauen, wahnsinn – sind das viele! Rund um mich ist’s ja mehr schon ein privatlauf-vergnügen, und bin schon froh, dass ich immer wen sehe, sodass ich mir zumindest um die orientierung und streckenführung keine gedanken machen muss. Und ein paar sind auch immer hinter mir, das schon, aber nicht viele!

Irgendwann auf der langen gerade entlang des wienflusses schalte ich den ipod an, zuerst cat power. Sehr langsame musik, die mich sicher nicht schneller macht, und außerdem dann im prater in direkter konkurrenz steht zur außenbeschallung – die dort plötzlich laut und von überall her ertönt. Der schlenkerer zum stadion ist kürzer als gedacht, doch dann die lange gerade nach hinten zum heizhaus fängt an, sich zu ziehen. Neben mir sehe ich nur noch langsame läufer, die mir zum teil dennoch davonrennen oder mich auf abstand halten, obwohl ich mich noch dynamischer fühle, als die ausschauen, sehr interessant, hm.

So weit und so lang bin ich noch nie in meinem leben gelaufen.

Irgendwann nach dem heizhaus fang ich an zu realisieren, dass ich die 5 h nur schaffen kann, wenn ich gas gebe und schneller werde, das versuche ich für eine halben km, und geb dann wieder auf, wird sich nicht ausgehen, lieber nichts riskieren und dann eingehen, lieber so konstant weiterlaufen.

Irgendwann dann auf der langen geraden zurück im prater, fällt mir eine frau auf, die vor mir ganz langsam und beständig läuft, genauso schnell wie ich, an die häng ich mich an, ich laufe sozusagen in ihrem windschatten, immer ein paar meter – mehr oder weniger – hinter ihr, sie nie aus dem blickfeld verlierend. Sie zieht mich wohl auch bisschen, und ich bewundere sie, dass sie da einfach so läuft und läuft und läuft, ohne dass sie angestrengt wirken würde. Und das ohne musik, ich hab mittlerweile auf placebo umgeschaltet, ganz laut gegen die außenbeschallung, das pusht schon.

Hinter ihr bleibe ich die ganze zeit, mal ist sie 50 m vor mir, manchmal direkt vor mir. Einmal rund um km 38 kommt mir der gedanke, ich würde jetzt lieber gehen als laufen, aber gleich danach kommt die motivations-entwarnung: nein, meinen einzigen marathon werde ich durchlaufen, und wenn auch nur langsam, und außerdem verlier ich sonst die frau, meine unwissende ehrenamtliche speedmakerin.

Stattdessen schicke ich eine bitte ans universum und an alle, die an mich denken, jetzt kann ich eure energie brauchen. Wär schön, wenn ich plötzlich schweben würde, das passiert nicht, aber es geht weiter, immer weiter.

Zach ist’s jetzt, die km sind lang, es dauert immer länger, bis wieder eines der km-schilder ins blickfeld kommt. Wann immer es lang geradeaus geht, richte ich den blick nach unten auf die paar meter direkt vor meinen beinen, mehr halte ich grad nicht aus. die kappe hilft da gut, sodass ich oft nur die beine meine vorläuferin sehe, dann geht’s besser. Einmal ist sie plötzlich – wie kommt das? – auf der rechten fahrbahn, ich aber der linken, dazwischen ein grünstreifen, so hoch, dass ich vermeide, drüberzulaufen, wer schafft denn nach 39 km noch 20 cm höhe? Ich hoffe, die fahrbahnen kommen später wieder zusammen, autos und gegenverkehr sind mir in dem moment sogar völlig egal, doch es passt alles: kein auto, und ein paar hundert meter weiter bin ich wieder direkt hinter ihr, ohne höhenzentimeter machen zu müssen.

Dann endlich der verpflegungsstand bei km 40, auf den ich mich schon so freue, von dem ich mir gemerkt hab, dass er auf einer brücke sein muss (bei jeder brücke davor hoffte ich!) und dann die große enttäuschung: alles cola ist schon weg, es gibt nur noch wasser, also gibt’s wieder einmal wasser, wasser.

Und da plötzlich passiert etwas in mir, was ich nicht erwarte, mit dem ich nicht rechne: ich besinne mich auf mich selber. Und in mir spielt sich ein immenser wandel ab. Plötzlich denke ich nicht mehr, wie lang die km sind, wie weit es noch ist und wie ich enttäuscht bin, dass es kein cola mehr gibt. stattdessen: „hej, die letzen beiden km meines lebens-marathons“, ich sag mir: „genieße sie“. Ich merke, wie ich mich aufrichte, den blick ganz automatisch wieder nach vorn bekomme, ja schneller werde und im gleichen moment die frau aus den augen verliere, nachdem ich seit einigen km fast nur auf ihre beine schaue. So unwichtig wird sie plötzlich für mein durchhalten, dass ich erst einen km später draufkomme, dass sie weg ist, ich dreh mich um, ich sehe sie nicht mehr.

Die wunderbaren letzten meter auf der ringstraße, endlich: die leute, die mich nicht kennen, ich könnte sie umarmen und sie abbusseln für ihre aufmunterungen, dass sie noch da sind und ausgehalten haben und mich wie wild anfeuern. Ich sehe keinen wirklich, weil ich nicht mehr nach links und rechts schaue, nur mehr geradeaus, aber ich höre sie. ich lächle wohl ein bisschen vor mich hin und werde nie vergessen, dass jemand ruft: „hej, das schaut locker aus, super, mach weiter so“. Und das stimmt, mensch, geht das jetzt locker, ich weiß, dass mein laufen jetzt wieder gut ausschaut, kein vergleich zu vorher. So ziehe ich ein, ich genieße es, ich schwebe, schaue gar nicht mehr nach den schildern. Fast zu bald kommt von links die mariahilferstraße herunter, und dann ist da die scharfe kurve, und plötzlich steht die moya vor meinen beinen, zum glück hat sie der frank direkt vor mich gestellt, weil ich seh und hör nichts mehr. Ich bin wie im trance, und hab auch nicht gehört, dass die tina mich schon seit ein paar metern anfeuert. Doch die moya nimmt meine hand und sprintet mit mir los in den zieleinlauf. Da bin ich dann wieder ganz da, sag noch zu ihr „nicht so schnell, das kann ich nicht mehr!“ Vor uns formiert sich eine staffelgruppe, um gemeinsam ins ziel zu laufen. Vor uns. Geht gar nicht. Da gibt’s nur eins: „komm moya, wir überholen!

Und nach mehr als 42 km geben wie gas, zwängeln wir uns rechts an dieser gruppe vorbei, und rennen strahlend über die ziellinie – wie schön, wie schön, wie schön!

Autor : Daniele Haiböck-Sinner (Für M. und I.)